Nesemann Steuerberatung

Umsatzsteuer-Aktuell 04/2015

Reihengeschäfte - Was nun?

Für die Bestimmung der warenbewegten und damit evtl. steuerbefreiten Lieferung bei grenzüberschreitenden Reihengeschäften wird in Deutschland bisher auf die Transportveranlassung abgestellt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Urteilen vom 25. Februar 2015 dieser Beurteilung widersprochen. Danach ist entscheidend, wann und wo die Verfügungsmacht an dem Gegenstand übertragen wird. Die Rechtsprechung hat erhebliche Auswirkungen auf die Beurteilung von grenzüberschreitenden Warenlieferungen.

  1. Grundlagen des Reihengeschäfts

    Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Parteien über denselben Gegenstand mehrere Lieferungen ausführen und der Gegenstand unmittelbar vom Ersten an den Letzten in der Reihe gelangt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass in diesen Fällen nur eine der Lieferungen als innergemeinschaftliche Lieferung von der Umsatzsteuer befreit sein kann (warenbewegte Lieferung). Für die Bestimmung dieser Lieferung ist in § 3 Abs. 6 Satz 6 Umsatzsteuergesetz (UStG) eine Vermutungsregelung dahingehend getroffen, dass bei der Transportverantwortung des mittleren Unternehmers, die Lieferung an ihn grundsätzlich als bewegte Lieferung zu behandeln ist. Die Finanzverwaltung hat darüber hinaus Regelungen für die Fälle getroffen, wenn der Erste oder der Letzte in der Reihe den Transport veranlasst.

  2. Entscheidungen des BFH vom 25. Februar 2015

    Als Folgeentscheidung zum Urteil des EuGH vom 27. September 2012 – C-587/10, VSTR, hat der BFH entschieden, dass es für die Bestimmung der steuerbefreiten Lieferung darauf ankommt, wann und wo dem Endabnehmer die Verfügungsmacht an dem Gegenstand der Lieferung übertragen wird (BFH XI 15/14). Es kommt allein darauf an, ob die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand verfügen zu können (Verschaffung der Verfügungsmacht), auf den Unternehmer C bereits im Abgangsland übertragen wird. Sollte dies der Fall sein, ist die Lieferung 2 die bewegte Lieferung.

    In dem zugrunde liegenden Sachverhalt kam der BFH zu der Auffassung, dass die Lieferung 1 die bewegte und damit steuerbefreite Lieferung war. Ursächlich für die Entscheidung war, dass das Finanzamt nicht nachweisen konnte, dass die Verfügungsmacht bereits in Deutschland auf C übertragen worden war. Die bloße Mitteilung des B, den Gegenstand bereits weiterveräußert zu haben, reicht nach Auffassung des BFH nicht aus. Grafisch stellt sich dies wie folgt dar:

    MR 04 / 2015

    In dem zweiten Sachverhalt (XI R 30/13) erfolgte eine Abholung durch den Endabnehmer. Für die Finanzverwaltung ist klar, dass in diesem Fall immer die Lieferung 2 die bewegte und damit zu befreiende Lieferung ist (Abschnitt 3.14 Absatz 8 Satz 2 Umsatzsteuer-Anwendungserlass = UStAE). Der BFH hingegen stellt wiederum auf die Frage ab, wann und wo die Verfügungsmacht auf den C übertragen wurde. Da der Sachverhalt diesbezüglich unklar war, erfolgte eine Zurückverweisung an das Finanzgericht. Grafisch stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:

    MR 04 / 2015

    Die Aussagen im Urteil sind allerdings widersprüchlich:

    Einerseits weist der BFH darauf hin, dass bei Abholung durch C, diesem in der Regel die Verfügungsmacht bereits im Abgangsland (bei A) übertragen wird und somit die zweite Lieferung als die bewegte Lieferung zu betrachten sei. Anderseits stellt er fest, dass, soweit sich nicht feststellen lässt, wann und wo B objektiv die Verfügungsmacht erhalten hat, die „Grundregel“, dass die erste Lieferung die bewegte sei, Anwendung fände. Diese Grundregel soll sich u.a. aus der EuGH-Rechtsprechung ergeben.

    Des Weiteren empfiehlt der BFH, dass der Lieferant sich vom Erwerber versichern lassen soll, dass er die Verfügungsmacht an dem Gegenstand nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand das Inland verlassen hat. Selbst wenn sich dann der Sachverhalt im Nachhinein abweichend darstellen sollte, könnte sich der Lieferant auf den Vertrauensschutz berufen. Zusätzlich gibt der BFH den Hinweis, dass, sofern nur fremde Dritte an dem Reihengeschäft beteiligt sind, die Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummern und die umsatzsteuerliche Behandlung durch die Unternehmen in den einzelnen Ländern als Indiz gewertet werden kann.

  3. Eigene Bewertung und Ausblick

    Das Abstellen auf den Übergang der Verfügungsmacht für die Bestimmung der innergemeinschaftlichen Lieferung entspricht der EuGH Rechtsprechung und den Grundsätzen der Umsatzbesteuerung von Lieferungen. Der erste Unternehmer der Kette kann in der Regel aber nicht erkennen, ob die folgenden Unternehmen die Verfügungsmacht übertragen haben. Insoweit wäre es wünschenswert, wenn die Finanzverwaltung die vom BFH empfohlene Bescheinigung durch den Erwerber als gängigen Nachweis akzeptieren würde. Unseres Erachtens sollte die Behandlung der Lieferkette durch die beteiligten Unternehmen nicht nur als Indiz gewertet, sondern ihr grundsätzlich gefolgt werden. Im Sachverhalt zwei würde dadurch eine Registrierungspflicht von B in Deutschland vermieden.

    Die Vermutungsregelung, wonach grundsätzlich immer die erste Lieferung die warenbewegte Lieferung sein soll, dürfte unseres Erachtens nur dann, wenn A oder B den Transport durchführen, anwendbar sein. Sofern C abholt, geht die Verfügungsmacht grundsätzlich auf ihn über, sodass in diesen Fällen die Lieferung 2 als die bewegte Lieferung gelten müsste. In Ausnahmefällen, z.B. Kauf auf Probe, würde etwas anderes gelten. Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber und die Finanzverwaltung auf die Urteile reagieren. Bis dahin gelten aber die Ausführungen im UStAE weiterhin. Wir empfehlen, die weiteren Entwicklungen abzuwarten, bevor Umstellungen in bestehenden Lieferstrukturen vorgenommen werden. Im Rahmen der Abwehrberatung hingegen ist es unabdingbar, die neuen Urteile zu kennen.

Wir werden Sie über die Fortsetzung des Themas „Reihengeschäft“ in Kenntnis setzen.

Ihr Team der
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Hamburg, 28. April 2015

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