Nesemann Steuerberatung

Umsatzsteuer-Aktuell 09/2015

Stolperfallen bei Verkäufen an Endverbraucher im EU-Ausland

Der Verkauf von Waren und sonstigen Leistungen hat sich durch Verkaufsplattformen wie z.B. Amazon oder Ebay in den letzten Jahren erheblich vereinfacht und verändert. Durch niedrigere Markteintrittsbarrieren steigt nicht nur die Zahl der Händler, sondern auch die Bedeutung grenzüberschreitender Umsätze. Damit rücken diese Vorgänge auch in den Fokus der Finanzverwaltung, insbesondere im Bereich Umsatzsteuer. In zwei Beiträgen weisen wir auf die Besonderheiten und Fallstricke im Internethandel hin. Der vorliegende Teil 1 befasst sich mit Warenlieferungen, Teil 2 mit elektronischen Dienstleistungen.

  1. Ab wann handelt man als Unternehmer?

    Die Umsatzsteuer ist nur für solche Verkäufer von Bedeutung, die als Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne anzusehen sind. Maßgeblich ist die nachhaltige Tätigkeit mit Einnahmeerzielungsabsicht, also das „Auftreten als Händler am Markt“. Gelegenheitsumsätze begründen keine Unternehmereigenschaft. Gleiches gilt wohl für An- und Verkaufsaktivitäten zur Vervollständigung einer Sammlung (z.B. mit Briefmarken), weil das Sammlermotiv (und nicht die Einnahmeerzielungsabsicht) im Vordergrund steht.

    Ein „Handel“ mit Sammlerobjekten kann aber die Unternehmereigenschaft begründen (Urteil des Finanzgerichts Köln vom 4. März 2015), ebenso wie der Verkauf von 140 Pelzmänteln aus dem Privatvermögen (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. August 2015).

  2. Unterliegen die Umsätze der deutschen oder der ausländischen Umsatzsteuer?

    Sobald die Kleinunternehmergrenze (17.500 €) überschritten ist, unterliegen die inländischen Umsätze eines deutschen Händlers der deutschen Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuer ermittelt sich grundsätzlich aus den Umsatzerlösen und nur unter bestimmten Umständen aus der Marge (Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis).

    Bei grenzüberschreitenden Umsätzen sind folgende Besonderheiten zu beachten:

    1. Lieferungen in Länder außerhalb der EU

      Lieferungen in Länder außerhalb der EU (Exporte) sind von der Umsatzsteuer befreit. Ein Export liegt allerdings dann nicht vor, wenn die Ware in den grenznahen Bereich (z.B. deutsches Grenzgebiet zur Schweiz) versendet und dort vom ausländischen Endverbraucher abgeholt und ins Drittland verbracht wird. Wie in mehreren Quellen (z.B. bei www.onlinehaendler-news.de) zu lesen war, erfolgt in diesen Fällen seit September 2015 keine Bestätigung der Ausfuhr durch die deutschen Zollbeamten mehr, die damit einer jahrelangen Praxis einen Riegel vorschieben. Hintergrund dieser geänderten Praxis ist die Tatsache, dass die „Freistempelung“ ursprünglich für den Reiseverkehr konzipiert war und in letzter Zeit offenbar massiv missbraucht wurde.

    2. Lieferungen in das EU-Ausland

      Warenumsätze unterliegen grundsätzlich der Steuer des EU-Landes, von dem aus die Ware versendet wird (Ursprungslandprinzip). Übersteigen die Umsätze allerdings bestimmte Schwellen (Lieferschwelle) – diese liegt zwischen 26.400 € (Rumänien) und 100.000 € (z.B. Niederlande) –, oder handelt es sich um verbrauchsteuerpflichtige Ware, dann unterliegen die Umsätze der Steuer des Mitgliedstaates, in das die Ware versendet wird (Bestimmungslandprinzip bzw. sog. Versandhandelsregelung). Gleiches gilt, wenn der Lieferer auf die Anwendung der Lieferschwelle verzichtet; dies kann sinnvoll sein, wenn im Bestimmungsland ein niedrigerer Steuersatz gilt (z.B. unterliegt Kinderbekleidung in Großbritannien einer Steuer von 0%).

      Die Verlagerung des umsatzsteuerlichen Lieferortes in das Bestimmungsland kommt grundsätzlich nur dann zur Anwendung, wenn die Ware durch den Verkäufer befördert oder versendet wird. Erfolgt hingegen eine Abholung durch den Kunden, bleibt es bei der Besteuerung im Ursprungland. Diese Regelung kann also „genutzt“ werden, um eine Registrierung im EU-Ausland sowie die damit verbundenen Kosten zu vermeiden. Zu beachten ist aber, dass die Frage nach der Zuordnung des Versands / Transports nicht nach formaljuristischen, sondern nach objektiven Kriterien zu bestimmen ist. Dementsprechend hat der Bundesfinanzhof (Urteil vom 20. Mai 2015, XI R 2/13, veröffentlicht am 4. November 2015) die Anwendung der Versandhandelsregelung auch für den Fall bestätigt, dass der Kunde den Händler beauftragt, die Versendung der Ware im Namen und für Rechnung des Kunden zu veranlassen. Zwar trägt der Händler in diesem Fall nicht die Kosten bzw. Verantwortung für den Transport (was für die Annahme eines Abholfalles spricht), er ist aber objektiv für den Transport verantwortlich. Die Umsätze unterliegen also auch in diesem Fall der Umsatzsteuer des Bestimmungslandes, wenn die Lieferschwelle überschritten ist.

  3. Wird die Einhaltung der Versandhandelsregelung kontrolliert?

    Ob sich alle Versandhändler an die Versandhandelsregelung halten und ihren Pflichten im EU-Ausland nachkommen, ist ungewiss. Die Finanzverwaltungen sind aber durchaus „kreativ“, um säumigen Steuerzahlern auf die Schliche zu kommen. So kann etwa die österreichische Finanzverwaltung Informationen von Postdienstleistern hinsichtlich der Herkunft der von ihnen zugestellten Pakete einholen (§ 27 Abs. 6a öUStG), während die dänische Finanzverwaltung mit gleicher Zielsetzung Kreditkartenumsätze überprüfen kann. Hingegen gibt es auf den Internetseiten  der englischen Finanzverwaltung einen „whistle-blower-Mechanismus“, bei dem mutmaßlich steuerunehrliche Händler angezeigt werden können. Und die deutsche Finanzverwaltung hat bereits den gerichtlichen Segen (BFH-Urteil vom 16. Mai 2013) zur Einholung von Sammelauskunftsersuchen bei den Betreibern von elektronischen Handelsplattformen. Das Internet schützt also keineswegs die Anonymität.

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17. November 2015

Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte und Darstellungen.