Nesemann Steuerberatung

Umsatzsteuer-Aktuell 03/2016

Zur Abgrenzung zwischen Schadensersatz und Leistungsentgelt

Die Umsatzsteuer soll als allgemeine Verbrauchsteuer den Konsum belasten. Deshalb ist der wechselseitige Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung wesentliche Voraussetzung für die Entstehung der Steuer. Oder anders: Der Zahlende zahlt, weil er vom Leistenden eine Leistung erhält. Was aber passiert, wenn eine Zahlung geleistet wird, ohne dass die ursprünglich beauftragte Leistung erbracht wird? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich ein weiteres Mal mit dieser Frage auseinandergesetzt und indirekt die deutsche Rechtsauffassung zu dieser Thematik bestätigt. Nachfolgend stellen wir die Grundsätze und die Konsequenzen dar.

  1. Der vom EuGH entschiedene Fall (C-250/14 vom 23. Dezember 2015)

    Die französische Fluggesellschaft Air France verkaufte u.a. Flugscheine für Inlandsflüge. Sofern die Käufer die Flugscheine nicht einlösten (weil sie im Gültigkeitszeitraum nicht genutzt wurden bzw. weil der Fluggast nicht rechtzeitig zum Einchecken erschien), musste Air France aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen keine Erstattung vornehmen. Die Gesellschaft vertrat gegenüber der Finanzverwaltung die Auffassung, dass die insoweit vereinnahmten Beträge nicht der Umsatzsteuer unterliegen, weil die dem Vertrag zugrunde liegende Beförderungsleistung nicht erbracht wurde.

    Das Gericht hatte sich folglich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der vereinnahmte Betrag Entgelt oder (nicht steuerbaren) Schadensersatz darstellt. Letztlich wurde der Entgeltcharakter bestätigt, weil der Gegenwert nicht in der Beförderungsleistung, sondern darin zu sehen ist, dass der Kunde „in den Genuss der Erfüllung der sich aus dem Beförderungsvertrag ergebenden Verpflichtung kommt.“ Diese Leistung ist als erbracht anzusehen, sobald der Fluggast in die Lage versetzt ist, die Beförderungsleistung in Anspruch zu nehmen. Nicht maßgeblich ist, ob er dieses Recht auch tatsächlich in Anspruch nimmt. Nicht steuerbarer Schadensersatz wurde insbesondere aus drei Gründen verneint:

    • Der Kunde zahlt in Aussicht auf die Inanspruchnahme der Beförderungsleistung. Dass er dieses Recht verwirkt, kann die Natur der vom Kunden gezahlten Gegenleistung nicht nachträglich ändern.

    • Würde der Preis für den Flugschein nicht steuerbaren Schadensersatz darstellen, wäre dieser Schadensersatz höher als das ursprünglich vereinbarte Entgelt (Bruttobetrag abzgl. darin enthaltener Steuer). Dies ist nicht gerechtfertigt.

    • Weil sich die Fluggesellschaft bei Nichterscheinen einen Weiterverkauf des freien Sitzplatzes vorbehält, kann nicht per se von einem entstandenen Schaden die Rede sein.

    Auch der Bundesfinanzhof hat den Schadensersatzcharakter solcher Erlöse – sog. unflown revenues – bereits vereint (V R 36/09, Urteil vom 15. September 2011).

  2. Abgrenzung von Schadensersatz und Entgelt in anderen Fällen

    Schadensersatz wird geleistet, weil der Zahlende nach Vertrag oder Gesetz für einen Schaden uns seine Folgen einzustehen hat. Der Schadensersatzcharakter einer Zahlung wird demnach am deutlichsten, wenn zwischen zwei Parteien überhaupt keine Leistungsbeziehung besteht. So hat z.B. die Zahlung von Schmerzensgeld infolge eines Verkehrsunfalls Schadensersatzcharakter. Weniger eindeutig ist die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung, wenn eine Zahlung ihren Ursprung in einer bestehenden oder zeitgleich beendeten Leistungsbeziehung hat:

    • In Bezug auf die Stornierung der Hotelübernachtung hat der EuGH (Urteil in der Rs. C-277/05 vom 18. Juli 2007) den Schadensersatzcharakter des sog. Angelds bejaht. Bei diesem Angeld handelt es sich um eine Anzahlung auf den Übernachtungspreis, den das Hotel im Fall einer Stornierung einbehalten darf. (Die Parallelen zu dem o.g. Urteil betreffend Flugscheine sind zweifelsohne erkennbar!)

    • Bei Leasingverträgen hat der sog. Minderwertausgleich (für verursachte Schäden und Wertminderungen am Leasinggegenstand) Schadensersatzcharakter. Hingegen sind Zahlungen für Mehr- bzw. Minderkilometer umsatzsteuerliches Entgelt (Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 6. Februar 2014).

    • Erhält der Leistende für die vorzeitige Aufhebung eines Vertrages eine Zahlung, handelt es sich um das Entgelt für den Verzicht auf die Inanspruchnahme der aus dem Vertrag resultierende Rechte (Urteil des BFH vom 16. Januar 2014, V R 22/13) und damit nicht um Schadensersatz. Dies gilt z.B. auch für Zahlungen infolge der vorzeitigen Aufhebung von Mietverträgen (Abschnitt 1.3 Abs. 13 Umsatzsteuer-Anwendungserlass). Hierin kommt zum Ausdruck, dass auch das Dulden und Unterlassen eine Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne darstellt.

    Hervorzuheben ist, dass sich die steuerrechtliche Beurteilung einer Zahlung von der zivilrechtlichen Beurteilung unterscheiden kann. So hat der Bundesgerichtshof entschieden (Urteil vom 22. November 2007, Az. VII ZR 83/05), dass auf das sog. Ausfallhonorar eines Architekten keine Umsatzsteuer entfällt. Denn der Architekt erhält den Betrag nicht für eine erbrachte Leistung, sondern nach der Gebührenordnung der Architekten für den Fall, dass der Auftraggeber vorzeitig vom Vertrag zurücktritt (was den Architekten wiederum an der Ausführung der ursprünglich vereinbaren Leistung hindert).

  3. Schlussfolgerungen und Empfehlung

    Die Abgrenzung zwischen nicht steuerbarem Schadensersatz und umsatzsteuerlichem Leistungsentgelt ist nicht immer eindeutig. Das jüngste EuGH-Urteil macht ferner deutlich, dass die steuerrechtliche Beurteilung bei einer wirtschaftlichen Betrachtung nicht unbedingt plausibel erscheint. Es könnte nämlich durchaus argumentiert werden, dass es dem Kunden bei der Buchung des Flugtickets nicht auf die Reservierung eines Sitzplatzes ankommt, sondern darauf, von A nach B zu fliegen. Wenn er dann einen Geldbetrag zahlt, obwohl er nicht geflogen ist, handelt es sich zumindest aus seiner Sicht nicht um die Gegenleistung für eine Beförderungsleistung. Ein Verbrauch im Sinne der Mehrwertsteuer hat insofern aus der Perspektive des Kunden nicht stattgefunden. Auch vermag die Entscheidung vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das vom Hotel einbehaltene Angeld Schadensersatzcharakter hat, zumindest aus Sicht des Kunden nicht einleuchten. Hierbei kann dahingestellt bleiben, dass aufgrund der Geschäftsbedingungen in zivilrechtlicher Hinsicht ein Unterschied zwischen dem nicht eingelösten Flugschein und der stornierten Hotelübernachtung besteht.

    In Anbetracht der bestehenden Restunsicherheit (von dieser zeugen schon die zahlreichen Urteile) ist bei Vereinbarungen über Zahlungsverpflichtungen im Fall von Leistungsstörungen eine etwaig anfallende Umsatzsteuer in die Kalkulation einzubeziehen. In entsprechenden Vertrags- bzw. Vertragsaufhebungsklauseln sollte also geregelt werden, ob sich ein vereinbarter Betrag inklusive oder zzgl. gesetzlicher Umsatzsteuer versteht. Ferner ist zu beachten, dass im zwischenunternehmerischen Bereich über jegliches Entgelt mittels einer ordnungsgemäßen Rechnung abzurechnen ist, in dem auch der Steuerbetrag separat ausgewiesen wird. Denn nur so wird der Leistungsempfänger in die Lage versetzt, den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Im Endkundengeschäft ist die Regelung schon deshalb wichtig, weil die Umsatzsteuer Kostencharakter hat. Nach wie vor muss es wohl im Hinblick auf die Ausgestaltung der Geschäftsbedingungen Konstellationen geben, unter denen sich Stornoeinbehalte als echter Schadensersatz qualifizieren lassen.

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Februar 2016

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