Nesemann Steuerberatung

Umsatzsteuer-Aktuell 04/2014

Wer schuldet die Umsatzsteuer auf Bauleistungen?
Lösungen für Bauunternehmen und Bauträger


Im Baugewerbe herrscht große Unsicherheit über die umsatzsteuerliche Behandlung von Bauleistungen. Bauunternehmen und Handwerker (nachfolgend: Bauunternehmen) sollten sich schriftlich bestätigen lassen, dass ihre Auftraggeber die Leistungen unmittelbar für eigene Bauleistungen verwenden. Anderenfalls müssen sie Umsatzsteuer in ihren Rechnungen ausweisen. Umsatzsteuernachforderungen des Finanzamtes sollten mit dem Hinweis auf Vertrauensschutz zurückgewiesen werden. Bauträger dagegen haben für die Vergangenheit einen Anspruch auf Erstattung von Umsatzsteuer.

  1. Einführung

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 22. August 2013 entschieden, dass die umgekehrte Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge) nach § 13b Umsatzsteuergesetz (UStG), d.h., der Auftraggeber schuldet die Umsatzsteuer, auf Bauleistungen nur anwendbar ist, wenn der Auftraggeber die bezogenen Leistungen unmittelbar zur Erbringung von eigenen Bauleistungen verwendet. Anderenfalls muss der Leistungserbringer Umsatzsteuer in den eigenen Rechnungen ausweisen. Grafisch stellen sich die beiden Abrechnungsvarianten wie folgt dar:

    1. Auftraggeber verwendet Leistungen für eigene Bauleistungen = Keine Umsatzsteuer in den Rechnungen (Reverse Charge)

      Umsatzsteuer-Aktuell

    2. Auftraggeber verwendet Leistungen nicht für eigene Bauleistungen = Umsatzsteuer in den Rechnungen

      Umsatzsteuer-Aktuell

      Eine Besprechung des Urteils sowie weitere Informationen zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Bauleistungen finden Sie unter Umsatzsteuer-Aktuell 2/2014.

  2. Auslegung der Finanzverwaltung und Absicht des Gesetzgebers

    Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit den Schreiben vom 5. Februar 2014 (veröffentlicht am 14. Februar 2014) und vom 8. Mai 2014 die ersten Auslegungen des BFH-Urteils durch die Finanzverwaltung dargestellt. Sie unterscheidet danach, ob die Leistungen vor oder nach dem 14. Februar 2014 erbracht wurden:

    1. Bauleistungen bis zum 14. Februar 2014

      Rechnungen für Bauleistungen, die bis zum 14. Februar 2014 ausgeführt worden sind, brauchen nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht korrigiert werden (Nichtbeanstandungsregelung). Voraussetzung soll allerdings sein, dass die beteiligten Unternehmen einvernehmlich entscheiden, an der seinerzeitigen Entscheidung festhalten zu wollen. Gleiches gilt für Bauleistungen, mit deren Ausführung vor dem 15. Februar 2014 begonnen worden ist.

      Unseres Erachtens geht die Formulierung an der Praxis vorbei. Die beteiligten Unternehmen konnten nicht aktiv entscheiden, die Reverse-Charge-Regelung anzuwenden oder in der Rechnung Umsatzsteuer auszuweisen. Durch die Verwendung der Freistellungsbescheinigung hatte sich der Auftraggeber gegenüber dem Bauunternehmen dahingehend ausgewiesen, dass er ein bauleistendes Unternehmen ist. Dieser „Ausweis“ wurde durch die Finanzverwaltung ausgestellt. Mithin hatten die beteiligten Unternehmen keinen Entscheidungsspielraum.

      Wegen der Besonderheiten zum Vertrauensschutz empfehlen wir den Bauunternehmen, nicht auf den 14. Februar 2014, sondern grundsätzlich auf den 30. September 2013 abzustellen (hierzu nachfolgend III. Nr. 2.).

    2. Bauleistungen nach dem 14. Februar 2014

      Bauleistungen, die nach dem 14. Februar 2014 erbracht werden, sind nach den Grundsätzen des BFH-Urteils zu behandeln. Eventuelle Freistellungsbescheinigungen haben nur noch Indiz-Wirkung und sollten unseres Erachtens nicht mehr verwendet werden. Bauunternehmen sollten sich vom Auftraggeber bestätigen lassen, dass dieser die Leistungen unmittelbar für eigene Bauleistungen verwendet. Soweit eine solche Bestätigung gegeben wurde – z. B. im Werk- oder Werklieferungsvertrag oder in sonstigen Unterlagen – soll es bei der Steuerschuldnerschaft des Auftraggebers bleiben, auch dann, wenn er tatsächlich keine Bauleistungen erbracht hat.

      Wir empfehlen daher, für jede Baumaßnahme eine Bestätigung – am besten bereits im Vertrag – vom Auftraggeber zu verlangen. Die Formulierung könnte z. B. folgendermaßen lauten:

      „Wir versichern, dass wir die Leistungen für das Objekt XY unmittelbar zur Erbringung einer Bauleistung i. S. d. § 13b Absatz 2 Nr. 4 UStG verwenden.“

      Wir empfehlen Bauunternehmen grundsätzlich bereits für Bauleistungen, die ab dem 1. Oktober 2013 erbracht wurden, eine Bestätigung einzufordern oder die Leistungen nachträglich der Umsatzsteuer zu unterwerfen (Begründung nachfolgend III. Nr. 2.).

    3. Zukünftige Behandlung – Absicht des Gesetzgebers

      Der Gesetzgeber beabsichtigt, wieder zur „alten“ Regelung (Stand vor dem Urteil des BFH) zurückzukehren. D.h., Bauträger sollen wieder dem Reverse Charge unterliegen. Hierzu ist eine Anpassung des Umsatzsteuergesetzes geplant.

      Wir werden Sie über die weitere Entwicklung informieren.

  3. Handlungsempfehlungen für das Baugewerbe

    Die nachfolgenden Handlungsempfehlungen berücksichtigen die neue Situation der Bauträger und die Auswirkungen auf die bauleistenden Unternehmen:

    1. Erstattungsanspruch der Bauträger

      Nach der Entscheidung des BFH erbringen Bauträger keine Bauleistungen. Soweit sie die bisher von ihnen nach § 13b UStG geschuldete Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen konnten – bei dem Verkauf von Wohnimmobilien und von Immobilien an nicht vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen (z. B. Ärzte, Versicherungsunternehmen) - sollten sie einen Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer stellen. Sollten die Umsatzsteuererklärungen oder –bescheide noch änderbar sein, würden sich für die Jahre 2009 bis 2013 bei einem Volumen von 1 Mio. € Umsatzsteuer p.a. die folgenden Erstattungen ergeben:

      Umsatzsteuer-Aktuell

      Der Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer kann formlos, in Form eines Schreibens, oder durch Änderung der Umsatzsteuererklärungen erfolgen. Die Finanzverwaltung beabsichtigt, sich die Umsatzsteuer von den Bauunternehmen wiederzuholen. Zu diesem Zweck sollen diese zum Verfahren bei den Bauträgern hinzugezogen werden. Nach unseren bisherigen Erfahrungen fordern die Finanzämter die Namen der Bauunternehmen und weitere Einzelheiten zu den Baumaßnahmen beim Bauträger an.

      Inwieweit die erstatteten Umsatzsteuerbeträge an die Bauunternehmen abgeführt werden müssen, hängt u.a. davon ab, ob noch zivilrechtliche Ansprüche bestehen (Verjährungsfristen) und sich die Bauunternehmen erfolgreich auf den Vertrauensschutz berufen können.

    2. Verhalten der Bauunternehmen

      In den Erstattungsfällen ist zu erwarten, dass die Finanzverwaltung die Umsatzsteuer bei den Bauunternehmen nachfordern wird.  Für diese würden sich erhebliche Belastungen ergeben. Neben unter Umständen entstehenden Liquiditätsengpässen käme hinzu, dass sie sämtliche Umsätze dahingehend prüfen müssten, ob zu Recht keine Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Anschließend wäre zu ermitteln, ob die Rechnungsempfänger überhaupt noch tätig sind, damit die Umsatzsteuer diesen gfs. nachträglich in Rechnung gestellt werden könnte. Insbesondere wäre auch zu prüfen, ob ein zivilrechtlicher Anspruch bestünde.

      Aufgrund des erheblichen Ermittlungsaufwands und der finanziellen Risiken raten wir Bauunternehmen, sich in diesen Fällen auf den Vertrauensschutz nach § 176 Absatz 2 Abgabenordnung zu berufen.

      Vertrauensschutz wird für die Steuerbescheide gewährt, die vor dem Urteil des BFH bereits erlassen waren. Wir sind der Meinung, dass auf die Veröffentlichung durch den BFH am 27. November 2013 abgestellt werden sollte. Bei fristgerechter Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärungen sollten damit die Jahre bis einschließlich 2012 unter den Vertrauensschutz fallen.

      Umsatzsteuervoranmeldungen gelten grundsätzlich auch als Steuerbescheid. Unterstellt, dass die Dauerfristverlängerung genutzt wurde, sollte für die Voranmeldungen Januar bis September 2013 ebenfalls Vertrauensschutz gewährt werden. Wir weisen allerdings daraufhin, dass der BFH in einem Urteil aus 2010 eine anderweitige Auffassung vertreten hat.

      Bauunternehmen sollten für Bauleistungen an Bauträger, die nach dem 30. September 2013 erbracht wurden, Umsatzsteuer in ihren Rechnungen ausweisen.

      Die Finanzverwaltung beabsichtigt ihre Auslegung des Vertrauensschutzes im Rahmen eines für den Juni 2014 angekündigten BMF-Schreibens darzulegen.

  4. Umsatzsteuerliche Organschaft

    Im Schreiben vom 8. Mai 2014 hat das BMF klargestellt, dass bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft darauf abgestellt wird, ob der Organkreis die Eingangsleistungen unmittelbar zur Erbringung von eigenen Bauleistungen verwendet. Bei folgender Konstruktion würde somit der Auftraggeber Schuldner der Umsatzsteuer werden:

    Umsatzsteuer-Aktuell

  5. Zusammenfassung/Empfehlung

    Wir empfehlen für Unternehmen des Baugewerbes folgende Vorgehensweise:

    1. Bauträger sollten einen Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer nach § 13b UStG stellen.
    2. Bauträger sollten die Bauunternehmen über den Antrag informieren.
    3. Bauunternehmen sollten, soweit ihnen keine Bestätigung der Auftraggeber vorliegt, Bauleistungen ab dem 1. Oktober 2013 mit Umsatzsteuer berechnen.
    4. Für Bauleistungen bis zum 30. September 2013 sollten sich Bauunternehmen auf Vertrauensschutz berufen.

Die umsatzsteuerliche Behandlung von Bauleistungen wird das Baugewerbe noch einige Zeit beschäftigen. Gerne erarbeiten wir mit Ihnen und auf Wunsch auch gemeinsam mit Ihren Vertragspartnern (Bauträger und Bauunternehmen) Lösungsmöglichkeiten und unterstützen Sie bei den Gesprächen mit dem Finanzamt.

Für Ihre Anregungen zu diesem Thema würden wir uns sehr freuen.


Ihr Team der

umsatz | steuer | beratung



Hamburg, 15. Mai 2014

Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte und Darstellungen.