Umsatzsteuer-Aktuell 8/2014
Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie elektronisch erbrachte Dienstleistungen - umsatzsteuerliche Änderungen ab 1. Januar 2015 im EU B2C-Geschäft
Die letzte Phase des Mehrwertsteuerpaketes 2010 tritt zum 1. Januar 2015 in Kraft. Die Änderungen betreffen die Umsatzbesteuerung von Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie von elektronisch erbrachten Dienstleistungen, die an Endverbraucher in der EU (Business-to-Consumer-Leistungen; B2C) erbracht werden. Für die Unternehmen ergibt sich erheblicher Handlungsbedarf.- Was wird geändert?
Bis Ende 2014 gilt für die in der EU ansässigen Anbieter der o.g. Dienstleistungen das Sitzortprinzip; die Leistungen werden im Sitzstaat des Anbieters versteuert. Dies ist einer der Gründe dafür, dass zahlreiche Unternehmen ihren Sitz in Luxemburg begründet haben. Denn so kann mit dem Luxemburger Steuersatz (15%, für ebooks momentan sogar nur 3%) abgerechnet werden, was in Anbetracht des Steuersatzgefüges innerhalb der EU (bis zu 27%, in Ungarn) ein erheblicher Wettbewerbsvorteil ist.
Zum 1. Januar 2015 ist mit dieser Wettbewerbsverzerrung Schluss. Für Leistungen an EU-Endverbraucher gilt dann – wie schon heute im Versandhandel bei Überschreiten der Lieferschwellen – das Verbrauchsortprinzip. Die o.g. Leistungen werden dann grundsätzlich dort besteuert, wo der Verbrauch stattfindet (bzw. der Ort des Verbrauchs vermutet wird). Die Steuer wird über ein zentrales Portal erhoben, um den Unternehmen eine Registrierung in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zu ersparen (Konzept der einzigen Anlaufstelle - Mini One Stopp Shop).
- Wer ist betroffen?
Die Änderungen betreffen zum einen die in der EU ansässigen Anbieter der drei Dienstleistungsbereiche:- Telekommunikationsdienste, wie z.B. Telefonie (Mobil- und Festnetzdienste), Internettelefonie (VoiP), sowie Kurzmitteilungsdienste.
- Rundfunk und Fernsehen, wie z.B. Übertragung von Programmen über Funk, Kabel und Internet, aber auch Streaming.
- Den bei weitem größten Bereich dürften die elektronischen Dienstleistungen ausmachen, wie z.B. die Bereitstellung von Software und Inhalten zum Download und per Online-Zugriff (mobile Spiele, ebooks, Musik, Bilder, Filme, Fortbildungsangebote), Cloud-Lösungen, Webhosting-Dienste, Online-Marktplätze und –Portale der verschiedensten Art (Tauschbörsen wie z.B. ebay, Buchungsportale, Vergleichsportale, Dating).
- Was bedeutet die Neuregelung im Einzelnen?
- Bestimmung des Verbrauchsortes
Die Bestimmung des Verbrauchsortes der Leistung folgt komplexen Regelungen, weil aus dogmatischen oder praktischen Gründen nicht unbedingt auf den Wohnort des Verbrauchers abgestellt werden soll. Je nach Art der Leistung wird auf „harte“ Kriterien (wie z.B. die Versandadresse für die Versendung von Hardware, die für den Bezug von Inhalteleistungen erforderlich ist (z.B. Decoder für Pay-TV), auf technische Merkmale (IP-Adresse des Computers, mit dessen Hilfe der Inhalt bezogen wird, die Länderkennung einer SIM-Karte von Mobiltelefonen) oder auf Informationen aus dem Bezahlsystem (z.B. Länderkennung der verwendeten Kreditkarte oder Bankverbindung) abgestellt. Die Unternehmen müssen die Kriterien kennen und sicherstellen, dass die Informationen über 10 Jahre in einer Form archiviert werden, die steuerlichen Anforderungen genügt, aber nicht gegen Daten- und Verbraucherschutzvorschriften verstößt. - Abgabe der Steuererklärungen
Für die Abgabe der Steuererklärung wird es in jedem EU-Land ein neues Portal geben, bei dem sich die Unternehmen ab dem 1. Oktober 2014 anmelden können. Die EU-Endverbraucherumsätze sind dann für jene Mitgliedstaaten, in denen der Anbieter nicht ansässig oder durch eine Betriebsstätte vertreten ist, im Rahmen einer Quartalsanmeldung zu deklarieren. Der sog. Mini-One-Stop-Shop (kurz: MOSS) wird in Deutschland durch das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) bereitgestellt, gemäß einer Pressemitteilung des Bundesministeriums der Finanzen vom 11. Juli 2014 werden hierzu in Kürze weitere Informationen zur Verfügung gestellt. Das BZSt wird die Steuer von den in Deutschland ansässigen Anbietern vereinnahmen und an die Verbrauchsstaaten weiterleiten. - Das Recht des Verbrauchsortes ist anzuwenden
Mit der Verlagerung des Leistungsortes vom Ansässigkeits- in den Verbrauchsstaat geht einher, dass die umsatzsteuerliche Behandlung den Regelungen des anderen Staates folgt. Nur auf den ersten Blick ändert sich dadurch „nur“ der Steuersatz. Weitere Unterschiede sind aber zu beachten. Ein paar Beispiele:- Ist die Ausstellung einer Rechnung erforderlich? Wenn ja, welche Pflichtangaben muss diese enthalten?
- Ist die Leistung evtl. von der Umsatzsteuer befreit (dies betrifft potentiell z.B. Angebote im Bereich Finanzen sowie Bildung) oder kann ein ermäßigter Steuersatz angewendet werden (z.B. ebooks, Rundfunkleistungen)?
- Unter welchen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer korrigiert werden, wenn die Forderung vom Kunden nicht beglichen wird?
- Unterliegen Stornogebühren und Überzahlungen der Umsatzsteuer?
- Wie sind Fremdwährungsbeträge in Landeswährung umzurechnen?
- Welche verfahrensrechtlichen Vorschriften gilt es zu beachten (Strafen, Steuerzinsen, Fristen)?
- Leistungsketten - Wer erbringt an wen welche Leistung?
Wenn die Leistung über Intermediäre (Plattformen, Bezahldienste) an den Endverbraucher erbracht wird, stellt sich die Frage, ob der Intermediär in eine Leistungskette (Inhalteanbieter – Intermediär – Endverbraucher) eingebunden ist oder ob er eine technische Leistung an den Inhalteanbieter erbringt. Hierfür wird es eine neue gesetzliche Regelung geben, die – in Anlehnung an die Grundsätze zur Dienstleistungskommission – im deutschen Umsatzsteuergesetz (UStG) in einem neuen § 3a Abs. 11a UStG zu finden sein wird. Die Unterschiede der Leistungsbeziehungen stellen sich grafisch wie folgt dar:
a) „Branchenlösung“
Im Rahmen der Branchenlösung wird angenommen, dass die eigentliche Leistung, z.B., Beratung über das Telefon, vom Inhalteanbieter an den Intermediär (B2B) und vom Intermediär an den Konsumenten (B2C) erbracht wird (Leistungskette). Die Bezahlung erfolgt dann in umgekehrter Richtung. Im vorangestelltem Beispiel hat der Intermediär die Umsatzsteuer aus 100 € und der Inhalteanbieter aus 80 € zu berechnen („revenue share“ = Betrag den der Intermediär nach Abzug seiner Gebühren ausschüttet).
b) Bruttolösung
Obwohl die Bezahlung wie bei der Branchenlösung erfolgt, sind die umsatzsteuerlichen Konsequenzen Andere. Bei der Bruttolösung wird – entsprechend der zivilrechtlichen Sichtweise – auch für Umsatzsteuerzwecke davon ausgegangen, dass der Inhalteanbieter die Leistung an den Konsumenten erbringt. Damit bildet das vom Konsumenten gezahlte Entgelt die Bemessungsgrundlage für die Umsatzbesteuerung (im Beispiel: Umsatzsteuer aus 100 €). Der Intermediär rechnet gegenüber dem Inhalteanbieter (B2B) über eine technische oder Bezahldienstleistung ab (vorliegend: Umsatzsteuer aus 20 €).
Welche der beiden Lösungen zur Anwendung kommt, hängt maßgeblich von der Gestaltung der Verträge, Rechnungen und AGB ab. Hierbei sieht das Gesetz folgende Prüfreihenfolge vor:
- Zunächst gilt die Vermutung der Leistungskette / Branchenlösung, wenn ein Intermediär in die Erbringung der Leistung eingebunden ist und im eigenen Namen und für fremde Rechnung handelt (diesem Ansatz liegt wohl die Zielsetzung zugrunde, Endverbraucherumsätze „so nah wie möglich am Endverbraucher“ zu besteuern).
- Wird der Inhalteanbieter vom Intermediär ausdrücklich als Anbieter der elektronischen Dienstleistung benannt und spiegelt sich dies in den Verträgen und Rechnungen wider, dann gilt die Bruttolösung.
- Wenn aber der Inhalteanbieter, „die Abrechnung gegenüber dem Leistungsempfänger autorisiert, die Erbringung der sonstigen Leistung genehmigt oder die allgemeinen Bedingungen der Leistungserbringung festlegt“, greift die Branchenlösung. Diese Regelung richtet sich offenbar an Vertriebsportale wie z.B. Amazon, I-Tunes und Facebook.
- Wenn der Intermediär lediglich die Bezahlung abwickelt und nicht an der Erbringung der Leistung beteiligt ist, gilt ebenfalls die Bruttolösung.
- Bestimmung des Verbrauchsortes
- Nicht nur ein steuerliches Thema
Die umsatzsteuerliche Änderung strahlt auf weitere Kernbereiche unternehmerischer Prozesse aus:- Im Bereich IT müssen Vorkehrungen getroffen werden, um den Leistungsort ermitteln und dokumentieren zu können. Ferner müssen neue Steuerkonten eingerichtet werden, um den Umsatz den einzelnen Ländern zuordnen zu können. Möglicherweise werden auch unterschiedliche Rechnungs-Layouts erforderlich sein.
- Im Bereich Recht ist an die Anpassung von AGB (Preise inklusive Steuern) und Verträgen (Anpassung der Steuerklauseln in Verträgen mit Vertriebspartnern und Bezahlsystemanbietern) in Betracht zu ziehen.
- Im kaufmännischen Bereich ist über die Preisgestaltung nachzudenken (für deutsche Unternehmen wird die Steuerbelastung grundsätzlich steigen, weil fast alle Länder höhere Steuersätze haben).
- Wie können wir helfen?
Es handelt sich um eine Änderung, deren Komplexität nicht zu unterschätzen ist. Wir unterstützen Sie gerne bei der Umsetzung. Ausgangspunkt wäre in der Regel eine Bestandsaufnahme (inwieweit ist das Unternehmen in Anbetracht des Leistungsangebots, der Kundenstruktur und der Vertriebswege / Bezahlmethoden von der Neuregelung betroffen?). Hierauf aufbauend wäre zu prüfen, wie der Leistungsort zu bestimmen und zu dokumentieren ist. Die Implementierung der Steuerfindung und Deklaration schließt die Umsetzung ab.
Rufen Sie uns gerne an, wenn wir Sie unterstützen dürfen.
Betroffen sind aber auch die im Drittland ansässigen Anbieter solcher Dienstleistungen. Denn momentan wird bei diesen für die Ermittlung des Leistungsortes auf den Wohnort des Endverbrauchers abgestellt. Die Regelungen zur Definition und Bestimmung des Leistungsortes werden aber zukünftig weitaus komplexer, so dass nicht zwingend der Wohnort als Leistungsort zugrunde zu legen ist.
Letztlich müssen sich auch die Anbieter von Bezahldiensten sowie die Vertriebsplattformen (I-Tunes, Amazon, Facebook usw.) mit der Neuregelung beschäftigen. Denn erstmals wird EU-einheitlich und im Rahmen des Umsatzsteuergesetzes geregelt, unter welchen Umständen diese Unternehmen in die Erbringung der Inhalteleistung an den Endverbraucher mitwirken oder nur eine Plattform zur Bezahlung und technischen Abwicklung der Transaktion anbieten. Die Problematik solcher Leistungsketten hat in den letzten Jahren im Bereich des Carrier-Billing (Bezahlung von Inhalten über die Telefonrechnung, z.B. durch Premium-SMS-Dienste) in Deutschland unter dem Begriff „Branchenlösung“ für Furore und erhebliche steuerliche Unsicherheit gesorgt.
Wie sich hier bereits zeigt, dürfte die Abgrenzung zwischen beiden Methoden nicht immer eindeutig sein. Eine Einzelfallbetrachtung unter Beachtung der von der EU-Kommission veröffentlichten Erläuterungen (explanatory notes) ist dringend geboten.
Ihr Team der
umsatz | steuer | beratung
Hamburg, 19. August 2014
Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte und Darstellungen.