Nesemann Steuerberatung

Umsatzsteuer-Aktuell 06/2015

Handwerker – Bauträger – Finanzamt
Wer vertraut wem?


In ganz Deutschland fordern Bauträger ihre zu Unrecht nach dem Reverse-Charge-Verfahren abgeführten Umsatzsteuerbeträge zurück. Bauunternehmen und Handwerker werden von ihren Finanzämtern aufgefordert, diese Umsatzsteuer nachzuzahlen. In zwei Fällen haben sich die Finanzgerichte für den Vertrauensschutz ausgesprochen. Die Finanzverwaltung propagiert ihr Abtretungsmodell. Für die beteiligten Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie reagieren sollen.

  1. Hintergrund

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 22. August 2013 entschieden, dass Bauträger keine Bauleistungen erbringen und somit nicht der umgekehrten Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge) unterliegen. Die genauen Hintergründe haben wir unter Umsatzsteuer-Aktuell 07/2014 und 04/2014 dargestellt. In ganz Deutschland haben mittlerweile Bauträger einen Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer für Zeiträume ab 2009 gestellt. Die Finanzämter wenden sich in diesen Fällen an die Handwerker und Bauunternehmen und fordern die bisher nicht ausgewiesene Umsatzsteuer bei ihnen nach. Gleichzeitig wird ihnen die Abtretung ihrer Forderungen nahegelegt.

    Fraglich ist, ob die Bauleistenden sich auf den Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 Abgabenordnung berufen oder aber dem Abtretungsangebot nachkommen sollten.

  2. Entscheidungen der Finanzgerichte

    Es liegen mittlerweile zwei Entscheidungen der Finanzgerichte zu Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung vor. So unterschiedlich die jeweiligen Voraussetzungen waren, so unterschiedlich sind auch die Entscheidungen ausgefallen:

    1. Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg vom 3. Juni 2015

      In dem Sachverhalt, den das FG Berlin-Brandenburg zu entscheiden hatte, ging es um Umsatzsteuerbeträge des Jahres 2009. Das FG hatte ernsthafte Zweifel an der Nichtanwendung des Vertrauensschutzes für die Bauunternehmen und hat daher dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung entsprochen. Ein maßgeblicher Grund für diese Entscheidung war der Umstand, dass es sich um eine Forderung aus dem Jahr 2009 handelt. Mithin sei nach Auffassung des FG die Verjährungsfrist von drei Jahren für die Geltendmachung des Umsatzsteuerbetrages gegenüber dem Bauträger längst überschritten und daher käme die Gewährung von Vertrauensschutz in Frage.

    2. Niedersächsisches Finanzgericht vom 3. Juli 2015

      Das Niedersächsische FG hat demgegenüber den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Das Gericht musste über Umsatzsteuerbeträge des Jahres 2013 entscheiden. Bis zur Änderung der Verwaltungsanweisungen lagen nur Umsatzsteuer-Voranmeldungen (USt-VA) vor. Das FG schließt den Vertrauensschutz für USt-VA aus. Unsere Überlegungen zur Frage, ob auch USt-VA für den Vertrauensschutz in Frage kommen, haben wir unter III. Nr. 2. in Umsatzsteuer-Aktuell 4/2014 dargelegt.

      Interessant ist, dass auch das Niedersächsische FG grundsätzlich die ernsthaften Zweifel des FG Berlin-Brandenburg zur Aushebelung des Vertrauensschutzes mittels gesetzlicher Regelung (vgl. § 27 Abs. 19 Umsatzsteuergesetz) teilt.

  3. Äußerungen der Finanzverwaltung

    Die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen, hat am 17. Juli 2015 auf eine Anfrage von Abgeordneten im Bundestag das Ziel bekräftigt, möglichst viele Bauunternehmen zur Abtretung ihrer Ansprüche gegen Bauträger an die Finanzämter zu veranlassen. Die Finanzverwaltung sieht die Notwendigkeit, die Interessen der bauleistenden Unternehmen zu schützen. Allerdings ist sie der Auffassung, dass die Möglichkeit der Abtretung einen hinreichenden Vertrauensschutz darstellt. Die Abtretungsmöglichkeit soll weder durch die zivilrechtliche Verjährung der Forderungen noch durch eine Insolvenz des Bauträgers eingeschränkt sein. D.h., die Finanzämter sollen generell verpflichtet sein, die Abtretung zu akzeptieren. Eingeschränkt wird diese eigene Verpflichtung der Finanzverwaltung dadurch, dass die Bauunternehmen. Umstände mitzuteilen haben, die zu Einwendungen oder Gegenrechten des Bauträgers führen können (z.B. Gewährleistungsansprüche). D.h. diesbezüglich behält sich die Finanzverwaltung doch vor, die Abtretung nicht anzunehmen.

  4. Zusammenfassung – Empfehlung

    Die Entscheidungen der beiden Finanzgerichte sollten nicht überbewertet werden, da es sich lediglich um Entscheidungen zur Aussetzung der Vollziehung handelt. Für die Gewährung einer Aussetzung reichen bereits hinreichende Zweifel aus. Unseres Erachtens bestehen selbstverständlich Zweifel, ob eine den Vertrauensschutz einschränkende Vorschrift des Gesetzgebers verfassungsgemäß ist. Insofern war die Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg nicht überraschend. Soweit bis zur Änderung der Verwaltungsanweisungen nur USt-VA abgegeben wurden, ist die Frage des Vertrauensschutzes noch weiter eingeschränkt. Die endgültigen Entscheidungen bleiben den Hauptverfahren vorbehalten.

    Die Aussage der Bundesregierung dahingehend, dass Abtretungen auch bei evtl. zivilrechtlicher Verjährung oder Insolvenz des Bauträgers angenommen werden sollen, ist aus Sicht der Bauunternehmen zu begrüßen.


    Es dürfte daher in den meisten Fällen für Handwerker und Bauunternehmen ratsam sein, die Abtretung an das Finanzamt vorzunehmen, um sich langjährige Rechtsstreitigkeiten zu ersparen. Sollte aber der Bauträger bereits die Nettoforderungen, wegen z.B. angeblicher Mangelleistung, in Frage gestellt haben, ist die Vorgehensweise vorher mit dem Finanzamt abzustimmen. Keinesfalls sollten die betroffenen Unternehmen einfach die Umsatzsteuer nachberechnen, da eventuell die Abtretung vom Finanzamt abgelehnt und die Umsatzsteuer beim Bauträger nicht kurzfristig zu realisieren sein wird. Am Ende bleibt es dabei, dass jeder Fall individuell zu beurteilen und zu entscheiden ist.

Berichten Sie uns gerne von Ihren Erfahrungen. Wir sind sehr an einem Erfahrungsaustausch interessiert.


Ihr Team der
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Hamburg, August 2015

Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte und Darstellungen.